Die Verantwortlichen des Reutlinger Spendenparlaments (von links) Charlotte Fliedner (Vorsitzende des Trägervereins), Angelika Mehnert (Vorsitzende der Finanzkommission), Eberhard Schwille, Ute Steinbrück (beide stellevertretende Vorsitzende vom Trägerverein), Geschäftsstellenleiterin Kristina Lippold und Christiane Koester-Wagner (Schatzmeisterin). Foto: Thomas de Marco

Das Reutlinger Spendenparlament ist 1999 gegründet worden und einmalig in Baden-Württemberg: Nirgendwo sonst im Land gibt es eine vergleichbare Institution. Am Donnerstag, 26. Juni, feiert das Spendenparlament sein 25-jähriges Bestehen. Doch die Verantwortlichen wollen das nicht nur zelebrieren, sondern das Jubiläum auch als Chance für eine Neuausrichtung nutzen.

„Wir stehen vor der ganz großen Herausforderung, neue Leute für das Parlament zu finden“, sagt Charlotte Fliedner, seit Oktober Vorsitzende des Trägervereins. Derzeit gibt es 128 Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die jeweils einen Beitrag von 65 Euro pro Jahr zahlen. „Teilweise sind noch Gründungsmitglieder dabei. Aber sie sind nun eben auch 25 Jahre älter“, sagt Fliedner.

„Es ist keine Frage von Schuld“
Sie ist 2018 aus London nach Reutlingen gekommen – und war gleich angetan vom Spendenparlament: „Das Konzept von Charity und privater Wohlfahrt kannte ich, denn in England ist es weit verbreitet.“ Für Fliedner war es auch eine gute Gelegenheit, als Parlamentarierin mitzubekom-men, was sich im Landkreis in diesem Bereich alles tut. „Das war eine gute Eingewöhnung in die neue Heimat“, sagt sie. Vor allem aber zählt für sie: „Leute, denen es gut geht, helfen Menschen, denen es nicht so gut geht.“ Für eine Förderung können Vereine und Institutionen ihre Projekte einbringen, die sich gegen Ausgrenzung, Isolation und Armut einsetzen. „Für mich war wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, weil ich Glück im Leben hatte. Wir sehen immer wieder: Es ist keine Frage von Schuld, wenn Leute bedürftig werden“, sagt Ute Steinbrück. Sie kannte das Konzept der Spendenparlamente aus ihrer Heimat im Norden Deutschlands. 2023 wurde sie Parlamentarierin, jetzt ist sie stellvertretende Vorsitzende des Trägervereins.

Alle Spenden kommen direkt an
Dabei wird genau getrennt zwischen diesen beiden Bereichen: Die Mitglieder des Parlaments stimmen zweimal im Jahr darüber ab, welche Projekte gefördert werden. Eine Finanzkommission trifft die Vorauswahl. Der Trägerverein wiederum ist mit seinen 15 Mitgliedern für die Verwaltung verantwortlich und finanziert sich separat durch Mentoren aus der Wirtschaft, die sich jeweils mit 500 Euro einbringen. „Dadurch ist gewährleistet, dass alle Spenden nur den Projekten zugutekommen“, erklärt Fliedner.

Bisher sind 958.914 Euro für 332 Projekte ausbezahlt worden, die erste Million ist also in Sichtweite. Der größte Betrag wird jeweils beim Spendenmarathon erlaufen, an dem in der Regel bis zu 1300 Läuferinnen und Läufer auf der Rennwiese mitmachen, sagt Schatzmeisterin Christiane Koester-Wagner. 25.000 Euro im September des vergangenen Jahres bedeuteten eine Rekordeinnahme. Dazu kommen die Mitgliedsbeiträge des Parlaments sowie Spenden von Unternehmen und Privatpersonen oder Einnahmen bei anderen Events. Bis zu 40.000 Euro können dadurch pro Jahr ausgeschüttet werden.

An ein Projekt erinnert sich Koester-Wagner besonders gerne: Über 200 Kinder der Friedrich-Hoffmann-Schule in Betzingen, die oft zu Hause keinerlei Berührung mit klassischer Musik hatten, übten 2023 eine Woche lang mit der Kindergesangspädagogin Friedhilde Trünn umgeschriebene Stücke von Ludwig van Beethoven ein. „Das führten sie in einem Konzert in der übervollen Christuskirche auf. Das war unglaublich!“

Bei der Frühjahrssitzung des Spendenparlaments, der insgesamt 51. in der Geschichte der Organisation, waren zuletzt 10 von insgesamt 13 eingereichten Projekten zum Zuge gekommen. „Alle diese 10 haben Geld bekommen, allerdings nicht alle in der beantragten Höhe“, sagt Steinbrück. Die Mehrheit der eingereichten Anträge komme aus der Stadt Reutlingen, Pfullingen oder Eningen. „Wir würden uns über mehr Präsenz im Landkreis aber freuen“, betont Fliedner, die Vorsitzende des Trägervereins.

Vier prominente Botschafter
Um noch mehr Öffentlichkeitsarbeit machen zu können, ist vor drei Jahren ein Botschafter-Konzept entwickelt worden: Prominente unterstützen das Spendenparlament mit ihren Namen, ihrer Bekanntheit und ihrer Geschichte. Das sind die vier Botschafter bisher: die Eninger Bahnradfahrerin Franziska Brauße, die mit dem Frauen-Vierer bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio Gold in der Mannschaftsverfolgung gewonnen hat; Thomas Keck, Oberbürgermeister von Reutlingen; Münsingens Bürgermeister Mike Münzing sowie der Reutlinger Comedian Dodokay.

Ist das Jubiläum auch ein Grund, die bisherige Konzeption zu überdenken? „Nicht grundsätzlich. Wir brauchen aber vor allem neue Leute, die auch neue Ideen einbringen dürfen“, sagt Fliedner. Und da setzt das Spendenparlament große Hoffnungen in die Feier am Donnerstag, bei der möglichst viele angesprochen und von der Idee der Organisation begeistert werden sollen.

Quelle: Südwest Presse und Thomas de Marco